ROSEMARIE
DOMS

Wenn es
Winter wird
in meinem
Garten

Jan Thorbecke Verlag

Inhalt

Wenn es Winter wird in meinem Garten

Bildnachweis

ÜBER DIE AUTORIN

ÜBER DAS BUCH

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Gerade dann, wenn der Herbst alle seine bunten Farben über das Land und den verlassenen Weinberggarten, hoch über der Stadt, ausgeschüttet hat, zieht mit leisen Schritten, wie ein Dieb in der Nacht, der Winter ein und hinterlässt seine ersten Spuren. Bereift und frostig versteckt er sie, noch ganz verstohlen, unter dem zusammengewehten Laub zu seinen Füßen. Staunend nimmt er wahr, wie verschwenderisch die Farben des Herbstes mit den Blättern spielten und wie willig die weißstämmige Birke ihre Lichter entzündete zum späten, zum letzten Fest. Manchmal fuhr ein stürmischer Wind, wie ein vorbeibrausender Zug der Zeit, durch die blättrigen Straßen, die ziegelroten Dächer der kleinen Laubhütten und hinweg über niedrige Hügel und flache Höhlen aus farbigen Blättern, die sich auf dem nassen Grase zusammengerottet hatten. Dann griff er wieder mit stürmischer Hand in das immer freier werdende Geäst der Bäume, riss ganze Sträuße von buntem Laub mit Stumpf und Stiel von den Zweigen und ruhte nicht eher, bis die ganze welke Pracht gebrochen und geknickt am Boden lag. Pfeifend und brausend fegte er noch die allerletzten Blätter von den Bäumen und warf sie übermütig in die aufgeladene Luft. Dann wirbelte er sie wild durcheinander und legte sie mit einer kleinen Verbeugung wie einen letzten Gruß auf die feuchte Erde nieder. Die alten Obstbäume – erst hatten sie ihren vollen Reichtum an süßen Früchten verschenkt, und nun lag vor meinen Augen, als späte Gabe, eine ganze, welke Welt aus buntem Laub und ein rotes Meer mit gebogenen Kähnen und schaukelnden Nachen aus vertrocknenden Blättern, die widerwillig knarrten, wenn sie sich berührten und leise wogten, wenn der Wind sie hob. Sie alle wollten sinnlich wahrgenommen werden, mit ihrem Vielerlei an figürlichen Formen und ihrer Vielfalt an aromatischen Gerüchen, nach weihnachtlichen Gewürzen, nach Lebkuchen und würzigem Tee aus dem Morgenlande. Manchmal erinnerte mich das vom Wind aufeinander gehäufte Laub auch an ein verglühendes Kaminfeuer, das noch leise knisterte, wenn ich mit meinen Händen darüberstrich und spröde und trocken klirrte unter dem Tritt meiner Füße, als ob ich ein flüchtendes Tier wäre, das noch eine späte Unterkunft suchte – und es gab niemanden, der ihm den Weg weisen konnte.

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Die tanzenden, die in der Kälte zitternden Sommerfähnchen, die sich in jeden leisen Lufthauch geschmiegt hatten, nun lagen sie lose neben- und übereinander gebettet, leblos und steif im bunten Narrenkleid, faulend und modernd auf nacktem, rauem Boden. Bis ein zweiter Windstoß folgte, sie hastig aufhob und wie lockere Spielkarten wieder auseinander trieb, was sich zu einem trügerischen Kartenhaus hatte auftürmen wollen. Es war ein bunt durcheinander gewürfeltes Mosaik von kupferroten und ockerfarbenen Formen und Figuren, von eckigen und rundlichen Gebilden, die wie goldene Taler aus der überquellenden Schatzkammer von Autumnus, dem herbstlichen Regenten, glänzten. Als ich sie aus der Nähe betrachtete, staunte ich, wie verschieden sie alle waren, wie einmalig jedes kleinste Blättchen, als ob es eine tragende Rolle spielen würde im großen herbstlichen Finale.

Blasse, welkende Blätterherzen rollten sich ein oder drehten sich zu zierlichen Schiffchen zusammen. Manche wurden zu flachen, verschnörkelten Tellern oder seltsamen Händchen, die sich mit fünfzipfligen Zacken wie kleine Finger am Leben festkrallen wollten. Noch im Sommer, als sich die grünen Blätter zu mächtigen Kronen, zu kühlenden Lauben und schattenden Schirmen zusammengeschlossen hatten, schien ein Blatt dem anderen zu gleichen in Farbe und Form, wie einzelne Maschen im löchrigen Gewebe eines luftigen Netzes. Nun im Verfallen und Vergehen wurden Gleichheit und Gleichmaß immer mehr aufgehoben und lagen zerbrochen am Boden. Jedem blättrigen Moderleib, jedem gerippten Blattskelett hatte die Vergänglichkeit ein eigenes, allein ihm bestimmtes Schicksal aus Reifezeit und Färbung gewoben, ihm unerbittlich zugeteilt und wie ein blutrotes Kainsmal ins Gesicht gedrückt. Schon immer hatte es sie wohl gegeben, diese vom eigenen Los und Geschick geprägte Lebensgestalt, aber erst jetzt im Sterben erfüllte und offenbarte sie sich ganz, wenn sie wieder zurückkehrte in das allgemeine Gesetz der Natur und ihre eigene Lebensspanne sich wieder auflöste im unfassbaren Strom der Zeit.

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