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Über das Buch / Impressum

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Christine Büchner / Gerrit Spallek (Hg.)

Im Gespräch mit der Welt

Eine Einführung in die Theologie

Matthias Grünewald Verlag

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Titel

Vorwort

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Christine Büchner

Kontur gewinnen in Beziehung
Zum Konzept einer Theologie im Gespräch

Im Gespräch mit den Wissenschaften

Magnus Striet

Theologie im Gespräch mit der Philosophie
Oder: Dem Glauben Vernunft eintreiben!

Johanna Rahner

Theologie im Gespräch mit den Naturwissenschaften
Zwischen Burgfrieden und wachsender neuer Skepsis

Im Gespräch mit Weltanschauungen und Religionen

Hans Kessler

Gott – warum wir ihn (nicht) brauchen
Theologie im Gespräch mit heutigem Atheismus

Hans Hermann Henrix

Christentum und Kirche nicht ohne Judentum
Jüdisch-christlicher Dialog heute

Anna Klein

Theologie und Kirche im Dialog mit dem Islam
Ein Streifzug durch die wechselvolle Geschichte christlich-muslimischer Beziehungen

Ulrich Dehn

Wenn Schweigen beredt wird: Was können Christentum und Buddhismus voneinander lernen?
Theologische Themen im christlichen Gespräch mit dem Buddhismus

Gesprächskontexte

Dorothea Sattler

Theologie im Gespräch mit den Kirchen
Ökumene heute

Heinz-Gerhard Justenhoven

Theologie in Friedensgesprächen
Die Gewaltlatenz der Staatengemeinschaft als Herausforderung

Clauß Peter Sajak

In der Spannung von Beheimatung und Begegnung – Theologie im Gespräch mit der Schule
Aktuelle Diskussionen zu Aufgaben und Gestalt des Katholischen Religionsunterrichts

Im Gespräch mit Kunst und Kultur

Georg Langenhorst

„… größere Kraft als die Sprache der Intellektuellen …“ (Romano Guardini)
Theologie im Gespräch mit der (Gegenwarts-)Literatur

Claudia Gärtner

Von Bildern, die Religion transformieren, und Religionen, die Bilder produzieren
Theologie im Gespräch mit der Kunst

Joachim Valentin

Avatare und andere Erlöser
Theologie im Gespräch mit dem zeitgenössischen Mainstream- und Autorenfilm

Autorinnen und Autoren

Anmerkungen

Über die Herausgeber

Über das Buch / Impressum

Hinweise des Verlags

Vorwort

Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes ist eine Ringvorlesung zur Eröffnung des Instituts für Katholische Theologie an der Universität Hamburg im Wintersemester 2014/2015. Der Titel der Vorlesungsreihe lautete „Theologie im Gespräch“.

Mit Blick auf das Profil des im Frühjahr 2014 neugegründeten Instituts war dieser Titel programmatisch gewählt: Ist doch katholische Theologie eine Wissenschaft, für die der Dialog mit den anderen Wissenschaften und mit der Gesellschaft der Gegenwart wesentlich ist und die sich mit einer mehr als 2000-jährigen Tradition in diesen Dialog einbringt (also zum einen das Gespräch sucht und damit zum anderen selbst Anlass und Gegenstand des Gesprächs wird). Die Vorlesung hat für dieses Gespräch unterschiedliche Kontexte ausgewählt, die aktuell brisant und insbesondere für eine Theologie in der Metropole Hamburg interessant sind, und dafür renommierte Theologinnen und Theologen aus ganz Deutschland für die Einzelvorträge gewonnen.

Ihnen allen möchten wir sehr herzlich für Ihre spannenden Beiträge zur Vorlesung sowie für den vorliegenden Band danken. Unser ebenso herzlicher Dank gilt dem Erzbischof des Erzbistums Hamburg, Dr. Stefan Heße, und dem kommissarischen Leiter der Abteilung Bildung des Erzbistums Hamburg, Johannes Krefting, für die werbende Begleitung und die finanzielle Anschubförderung des Instituts für Katholische Theologie an der Universität Hamburg, mit welcher nicht zuletzt auch die Drucklegung dieses Bandes gelang. Volker Sühs, Lektor im Matthias Grünewald Verlag, der das Erscheinen des Bandes äußerst engagiert betreut hat, danken wir ganz herzlich für die freundliche und unkomplizierte Zusammenarbeit.

Einen Monat vor der Eröffnung der Ringvorlesung verstarb der hochrenommierte Theologe Otto Hermann Pesch, katholischer Dogmatiker aus ökumenischer Erfahrung, dessen Name eng mit der Metropole Hamburg verbunden ist. Über 20 Jahre lehrte er als Professor für Systematische Theologie am Fachbereich der Evangelischen Theologie an der Universität Hamburg. Zwischen dem Lebenswerk von Pesch und einer Theologie im Gespräch, wie sie von Autorinnen und Autoren der vorliegenden Beiträge praktiziert wird, lässt sich unschwer eine inhaltlich-theologische Brücke schlagen. Denn im Nachruf seines damaligen Fachbereichs heißt es treffend:

Seine theologische Aufgabe verstand Pesch vor allem im Sinne eines zweifachen Dialoges, einerseits als Dialog zwischen der römisch-katholischen und der reformatorischen Theologie und Kirche, andererseits als Dialog zwischen christlichem Glauben und Erfahrungen der Gegenwart.1

Neben dem Dialog der Religionen und einer fundierten biblischen Ausbildung sind mit diesem „zweifachen Dialog“ zugleich die Schwerpunkte der Studiengänge am Hamburger Institut für Katholische Theologie benannt. In diesem Sinne folgt das Institut also einer gut katholischen Tradition in der Hansestadt und tritt zugleich in große Fußstapfen. Die Lektüre dieses Bandes sei mit einem Gedenken an Otto Hermann Pesch verbunden.

Am Reformationstag 2015

Christine Büchner und Gerrit Spallek

Kontur gewinnen in Beziehung

Zum Konzept einer Theologie im Gespräch

Christine Büchner

1. Einführung: Warum überhaupt Theologie?

Wir leben in einer Zeit, in der alles auf marktfähigen Fortschritt ankommt. Da sind viele mit allen möglichen Dingen so angefüllt, dass die Rede von Gott von ihnen nicht nur nicht vermisst, sondern eher als störend empfunden wird. Oder sie wird gleich in Zusammenhang mit religiöser Gewalt gebracht. Aber zugleich ist das Gegenteil der Fall: Religion und Theologie sind durchaus gefragt. Warum eigentlich? Sie thematisieren offensichtlich, was andere Diskurse nicht thematisieren. Sie sind also nicht einfach durch säkulare Wissenschaften zu ersetzen und zeigen, dass das auf den ersten Blick vorherrschende Denken keineswegs das ganze Denken ist.

Wir leben zudem in einer Zeit, in der Pluralität Anerkennung und Wertschätzung erfährt. Solche Anerkennung von Pluralität ist, folgen wir dem Frankfurter Philosophen Karl-Otto Apel (geb. 1922), Voraussetzung für jede echte Kommunikation. Sie konfrontiert einzelne Disziplinen oder Wirklichkeitszugänge (mögen sie auch im Mainstream noch so unhinterfragt sein – wie etwa Computertechnologie, Ökonomie oder Hirnforschung) mit der Begrenztheit ihres eigenen Zugangs zur Welt, macht sie durchlässig für die Zugänge anderer und schließlich auch für die Frage nach dem Zusammenhang, nach dem größeren Ganzen also, auf das die unterschiedlichen Zugänge (wenn auch nur implizit) zielen.

Diese Frage nach dem Horizont des Ganzen ist die genuine Frage der Religionen – die Frage nach der Tragfähigkeit des vorläufig Für-wahr-Befundenen, nach dem Sinn hinter allem, nach dem letzten Grund der Wirklichkeit. Anders gesagt: nach der unter allen Umständen gültigen Wahrheit, von der wir in den Teilperspektiven jeweils etwas erfassen, die wir aber nie ganz erfassen (auch in der Theologie nicht). Denn sie geht über uns und unsere Zugangsweisen und Methoden hinaus und liegt ihnen zugrunde. Empirische Wissenschaften müssen gerade solche Fragen ausblenden, um zu verlässlichen Ergebnissen zu gelangen. Sie müssen sich auch mit einer Dimension der Wirklichkeit, die ihren Methoden nicht zugänglich ist, nicht weiter auseinandersetzen; sie haben aber auch keinen Grund zur Behauptung, dass diese Dimension gar nicht existiert. Die meisten ernstzunehmenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen teilen mittlerweile diese Einsicht, sie reflektieren ihre eigenen Grundlagen im Diskurs und sind daher zumindest offen der Theologie gegenüber.

Auch Theologen und Theologinnen können sich lediglich auf die Suche begeben nach Phänomenen und Erfahrungen innerhalb der uns zugänglichen Welt, die etwas wie einen Durchblick gewähren auf das, was die Welt in ihrem Innersten trägt und zugleich radikal anders als diese ist. Die christliche Offenbarung spricht von jener Wirklichkeit als unbedingte Liebe (vgl. z. B. 1 Joh 4,7 ff. u. a.).

Zusammen mit der Philosophie reflektiert die Theologie, warum wir überhaupt über uns und unser Tun hinaus nach einem umfassenden Sinn fragen: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Warum sehnen wir uns nach Anerkennung und Gelingen und stehen einander zugleich als Konkurrenten um das Leben gegenüber?

Anders als die säkulare Philosophie stellt die christliche Theologie diese Fragen im Horizont des Glaubens an den Gott, den Jesus von Nazaret als jene andere Wirklichkeit unbedingter Liebe nahegebracht hat. Dabei ist dieser Glaube selbst alles andere als selbstgewiss, vielmehr wird oft der Zweifel, der ihn um- und antreibt, zur Motivation für theologisches Weiterfragen. Schon an dieser Stelle etwa entsteht ja die Frage: Wieso sollte gerade in diesem Jesus von Nazaret, einem einzelnen begrenzten Menschen in einer historisch begrenzten Zeit an einem begrenzten Ort die Wahrheit über die Welt und uns alle aufleuchten?

Nicht erst das Gespräch mit anderen Wissenschaften veranlasst also die Theologie, ihre Beiträge auch Nicht-Glaubenden zu kommunizieren, sondern bereits die Selbstvergewisserung angesichts des eigenen Zweifels. Deswegen ist für den theologischen Erkenntnisprozess der Bezug auf andere Wissenschaften und das Gespräch mit der Gesellschaft der Gegenwart, ihren Denkvoraussetzungen, ihrem Glauben und ihren Zweifeln (die eben nicht zuletzt auch die Zweifel von Theologinnen und Theologen selbst sind) nicht sekundär, sondern wesentlich.

2. Drei Imperative für eine katholische Theologie im Austausch mit der Gegenwart

Will eine katholisch-theologische Perspektive über einen kleinen Kreis von Eingeschworenen hinaus – oder gar (im Sinne der Wortbedeutung von katholisch): universal – Relevanz innerhalb einer säkularen sowie religiös pluralen Welt beanspruchen, geht das nicht in Abgrenzung von dieser Welt; sondern sie muss vielmehr den Austausch mit ihr suchen, mit den säkularen Wissenschaften, Kulturen, Phänomenen wie auch mit anderen religiösen Weltdeutungen. Daraus ergeben sich drei wichtige Imperative für eine katholische Theologie der Gegenwart und der Zukunft, die hier nacheinander benannt und erläutert seien. Der erste Imperativ lautet: Katholische Theologie muss Bezug nehmen auf die faktische Pluralität von Perspektiven. Diese gibt ihr zu denken.

Einerseits nämlich machen Vielheit und Buntheit das Leben erst lebenswert, kennzeichnen das Leben überhaupt als Leben. Andererseits macht uns dieselbe Vielheit das Miteinanderleben nicht nur spannend und reichhaltig, sondern auch konfliktreich und beschwerlich. Jüdisch-christliches Denken bewertet Pluralität von Grund auf positiv; es schließt sogar von der biblischen Gutheißung der konkreten, vielfältigen Schöpfung durch den Schöpfer auf eine Pluralität in Gott selbst. Dass Gott nämlich gerade die Vieldimensionalität der Geschöpfe zum Proprium des Lebens der Welt macht, sagt auch etwas über Gott selbst aus: Gott schätzt und will, dass jedes Einzelne, so wie es ist, also verschieden von anderen, ist. Er schätzt und will, dass wir, als selbstbewusste Geschöpfe, unseren höchst subjektiven, eigenen Weg und gerade darin unser Gelingen und Glück finden. Aber auch der umgekehrten Erfahrung ist Rechnung zu tragen: dass Pluralität Anlass ist für Nicht-Verstehen, für Gegeneinander, Konkurrenz und Gewalt. Daher sehnen sich Menschen doch nach Ganzheit oder Einheit – diese Sehnsucht ist etwas Verbindendes zwischen allen Religionen, vielleicht sogar zwischen Menschen aller Weltanschauungen. Alle, manche auch, ohne dass sie es wissen, sind auf der Suche – nach positiver Aufmerksamkeit, einem Grund, der sie trägt, nach gelingender Gemeinschaft; und könnten wir dies nicht als die große Aufgabe verstehen, die Gott als Schöpfer uns mit unserem Dasein gestellt hat? Dass wir als Verschiedene und als wir selbst zueinander (und darin zu Gott) zu kommen lernen? Und wäre dies dann nicht das theologisch unaufgebbare Erkenntniskriterium: dass Menschen, Religionen, Gemeinschaften, Wissenschaften immer dann auf dem Irrweg sind, wenn sie die Erkenntnis einer universalen Wahrheit in einem Sinne beanspruchen, der den Einzelnen in seinem einzigartigen Sosein übergeht? Eine religiöse Wahrheit, die nicht fragt, nicht auf die freie Entscheidung setzt, sondern andere (möglicherweise sogar gewaltsam) vereinnahmt oder ausgrenzt, kann keine Wahrheit sein! Dies ist zugleich ein Kriterium gegen jede fundamentalistische Deutung religiöser Ansprüche.

Aber: auch wo die Wahrheitsfrage gänzlich unthematisiert bleibt, kommen wir auf dem Weg zueinander nicht weiter, weil sich ein bloß relativistisches Nebeneinander verfestigt, ohne dass auch das Verständnis füreinander wüchse; und weil ich mir dann im Zweifelsfall doch selbst der Nächste bin, führt gerade die Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheitsfrage zu Konkurrenz und gewaltsamer Selbstdurchsetzung. Daher ist gegen den Vorwurf Peter Sloterdijks sowie des Kulturwissenschaftlers Jan Assmann, der Glaube an eine universale Wahrheit sei grundsätzlich pluralismusunfähig und daher gewaltbereit, mit dem Münsteraner Theologen Klaus Müller zu sagen: „Das konsequente Stellen der Wahrheitsfrage provoziert nicht Intoleranz, sondern bewahrt im Gegenteil vor ihr.“2

Der zweite Imperativ, den ich für die katholische Theologie formulieren möchte, lautet daher: Sie muss die Wahrheitsfrage stellen. Nur dann ist sie produktiv.

Vor allem Mystiker unterscheiden in ihrer Theologie oft zwei Dimensionen der Welt und des Menschen, um das spannungsvolle Ineinander von Pluralität und Einheit zu beschreiben: nämlich einerseits die Dimension des Gottesbezugs, sozusagen eine vertikale Dimension, und andererseits eine horizontale Dimension, die Ebene, auf der sich Geschöpfe begegnen und miteinander zu tun haben. Und es geht ihnen darum, Menschen für ihre vertikale Dimension, ihren innersten Grund (ihren Gottesbezug) zu öffnen. Sie sind nämlich überzeugt, dass dieser innerste Grund (anders als alle endlichen Dimensionen), nicht in Konkurrenz steht zur horizontalen Dimension. Denn dieser Grund ist inhaltlich als eine Liebe bestimmt, welche den anderen als diesen selbst will. So gibt die vertikale der horizontalen Dimension erst ihre eigentliche Würde und Berechtigung. Ziel des mystischen Weges ist die Ausrichtung unserer endlich-bedingten Verhältnisse nach unserem unendlich-unbedingten Gottesbezug. Wenn der oder die Einzelne seines/ihres Seins vor Gott gewahr wird, kann es unsere Begrenzungen aufbrechen und hineinwirken in die Horizontale zu einem besseren, heileren Miteinander. Wer das erfährt, kann Ja sagen zur Schöpfung, obwohl so vieles dagegen spricht und obwohl wir, wenn wir ausschließlich die horizontale Dimension betrachten – in unserem Scheitern und in unserer Schwäche – genügend Anhalt haben, uns und andere immer wieder in Frage zu stellen. Der kanadische Philosoph Charles Taylor hat in seiner Analyse der Postmoderne von einer Krise der Bejahung gesprochen: Es fehle uns die Fähigkeit, uns selbst und andere zu bejahen in einer Welt, in welcher der Einzelne so bedeutungslos scheint.3

Angesichts dessen ist der dritte Imperativ zu formulieren. Es stellt eine Hauptaufgabe von Theologie (und Kirche) dar, zu thematisieren, dass die Welt in ihrer geschilderten Doppelstruktur – in ihrer Vielheit und selbst noch in ihrem Von-Gott-Abgewandtsein – von Gott gutgeheißen ist. Diese Botschaft ist eine Ressource, die den „metaphysischen Hunger nach Würde“4 stillen kann. Zugleich ist freilich darauf hinzuweisen, dass die Kirche in ihrer Geschichte sich oft selbst fast ganz auf die horizontale Ebene der Konkurrenz begeben und Ausgrenzung und Gewalt (statt Anerkennung und Würdigung) gefördert hat.

3. Theologie der Zukunft als Theologie im Gespräch

Dieser Sammelband ist entstanden anlässlich der Eröffnung eines Instituts für Katholische Theologie an der Universität Hamburg. Hamburg scheint zunächst kein besonders privilegierter Ort für katholische Theologie zu sein. Aber vielleicht besteht das Privileg eben darin: Hier findet sich verdichtet, was für zukünftige Theologie überhaupt gelten wird: Sie wird eine Stimme sein unter vielen. Diese Situation zwingt sie dazu, aus sich herauszugehen und gerade darin dem Kern ihrer Tradition zu entsprechen – ganz im Sinne der Theologie des apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium, in der Papst Franziskus sagt, es gebe „für jeden, der ein würdiges und erfülltes Leben zu führen wünscht, keinen anderen Weg, als den anderen anzuerkennen und sein Wohl zu suchen“5, daher seien wir alle aufgefordert, „hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit“, den Ruf des Evangeliums zum Aufbruch anzunehmen, indem wir mutig auf die „Randgebiete“ zugehen.6

Damit – und auch mit dem Schlagwort der „Dezentralisierung“7 – hat der Papst neu darauf aufmerksam gemacht, dass christliches Leben und Denken vor allem dadurch konkret wird, dass es an die Ränder geht und sich der positiven wie negativen Vielfalt der Orte, Lebenssituationen, Anschauungen aussetzt – in dem Vertrauen, die frohe Botschaft auszubreiten, statt in der Angst, sie dadurch selbst zu verlieren.

Das biblische Israel wurde von Gott gerufen, vor ihm und mit ihm zu leben; ob seiner Schwäche und Kleinheit hat es immer wieder an Gott gezweifelt (also am Dasein dessen, der sich selbst als der Ich-bin-da (JHWH) offenbart hatte)8 und musste neu überzeugt werden, trotz Marginalisierung und Unterdrückung an ihm festzuhalten und der eigenen Bedeutung zu trauen (nämlich ein Segen zu sein für die Völker der Erde). Auf seinem Weg mit Jahweh hat Israel mühevoll lernen müssen, dass es bei der Jahweh-Verheißung nicht darum geht, Macht zu erhalten in Abgrenzung gegen die Fremdvölker, ja, dass man sich durch die Unterdrückung der Fremden sogar vom Weg mit Jahweh entfernt. Aus seinem Segen zu leben bedeutet vielmehr: sich einzulassen auf den Gott, der das Leben aller will. Dies kann im Extremfall gehen bis zu jenem sich selbst ganz zurücknehmenden Selbsteinsatz für das Leben anderer, den der jesajanische Gottesknecht verkörpert und der das Leben Jesu von Nazaret so sehr bestimmt, dass Christen sagen, in ihm habe Gott selbst einen Ort (einen Topos) in der Welt bekommen, habe tatsächlich das Leben für alle begonnen und sei nicht mehr u-topisch geblieben. Jesus „war leer von aller Eigensucht“, es ging ihm zuerst um die anderen, so konsequent, „dass er auch noch seine Peiniger mit vergebender Entfeindungsliebe umfing und die Ohnmacht des Ausgeliefertseins am Kreuz riskierte“. Dieses Lebenskonzept erscheint in den Augen der Welt mit ihren Gesetzen des Eigennutzes und des Verdrängens unsinnig. Doch gerade in diesem Menschen hat sich die Inkarnation des Logos Gottes ereignet, d. h.: in ihm konnte „Gott sich selbst offenbaren, sich mit seinem wahren Wesen gegenwärtig machen“, sprechen und wirken – als eine Liebe und Güte, die sich bedingungslos an alle verteilt.9 Dies hat die Logik der Welt verändert.

Müsste also, um dieser Grundüberzeugung Raum zu geben, christliche Kontur und Identität sich statt nach der weltlichen Logik der Konkurrenz nicht im Vertrauen auf jene alternative Logik des göttlichen Sich-Austeilens und der Selbstzurücknahme bilden, von der Jesus Christus seine Kontur und Identität empfing? Es ist jene Kontur des Christlichen, die Nietzsche und vielen anderen Anlass zum Ärgernis war, gerade weil sie das Prinzip der Selbstdurchsetzung des Stärkeren infragestellt.

Wie gesagt, auch die römische Kirche hat diesen spezifisch christlichen Impuls der Identitätsbildung nicht durch Abgrenzung vom anderen, sondern durch dessen Bejahung, in ihrer langen Geschichte oft vergessen. Auch ihr eignet ja jene doppelte Dimension: eine horizontale, die sie erstarren lässt in den Strukturen der Welt, und eine vertikale, die sie zum Zeichen und Mittler des Gottesreiches macht. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gesprochen: Sie war und ist nicht immer das, was sie sein könnte und sollte, nämlich „Zeichen und Werkzeug für die innerste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“.10

Doch sie fängt gegenwärtig wieder an zu lernen, dass sie dem eher entspricht, wenn sie das eigene Profil weniger durch Festhalten gegen andere bildet, sondern mehr, indem sie das Eigene ins Gespräch mit den anderen bringt. Gerade das ist ja das entscheidend Christliche: Nicht Angst zu haben, dass in der Wertschätzung des Gesprächspartners die Konturen verschwimmen, sondern auf die Hoffnung zu setzen, dass das Prinzip der Bejahung des anderen und seiner Freiheit (die Logik Gottes also) ihre eigene Dynamik entfaltet; d. h., dass die christliche Botschaft der Gottesliebe gerade dann in mir zum Ausdruck kommt, wenn ich sie im anderen erkenne.

Der Hamburger Theologe Otto Hermann Pesch (1931  2014) formuliert pointiert:

Der Glaube ist ja Tat der Freiheit, und da der Gott des christlichen Glaubens nur in solcher Freiheitstat bejaht werden will, gibt es keinen Grund zur Angst vor der möglichen Attraktivität der konkurrierenden Religionen. Ein Glaube der nur aus Ängstlichkeit an Gott festhielte, wäre – objektiv – nicht der christliche Glaube.11

Eine Glaubensperspektive, die sich als eine Stimme unter anderen weiß und reflektiert, steht nicht in der Gefahr, eine ängstliche Deutungshoheit in Absehung von anderen Religionen und Weltanschauungen zu beanspruchen, sondern versteht sich von vornherein in einer Gemeinschaft mit anderen Religionen und Wissenschaften, ohne die ihr entscheidende, sie selbst weiterbringende Herausforderungen fehlten.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Frauen im übrigen schon immer – und oft erfolgreich – eine Theologie der Selbstrelativierung betrieben haben bzw. eine solche aus strategischen Gesichtspunkten heraus betreiben haben müssen. Teresa von Avila (1515  1582) etwa, die große, später zu Unrecht als Gegenreformatorin vereinnahmte Kirchenlehrerin, spricht in einem extrem häresieempfindlichen Umfeld stets im Gestus höflicher bis ironischer Selbstzurücknahme (konkret unter dem Vorbehalt, sie sei eine Frau, sie spreche lediglich über ihre eigene Erfahrung, für die sie keine generelle Gültigkeit beanspruche, und sie lasse sich von gebildeteren Männern gern belehren).12 Doch sagt sie dabei immer, was sie zu sagen hat. Sie setzt auf die Überzeugungskraft ihres nicht behauptenden, sondern werbenden Wortes. In ähnlicher Weise spricht Jahrhunderte vor ihr Hildegard von Bingen (1098  1179) von sich selbst als einer Feder – im Vergleich zum Felsgestein der biblischen Propheten ohne Härte und Durchsetzungskraft, dabei aber um den Vorteil der eigenen Leichtigkeit wissend und nichts weniger wünschend, als selbst starkes Felsgestein zu sein.13

Nehmen wir die Redeweisen dieser Frauen nicht als reine Strategie, konturiert sich darin eine bewusste Theologie der wertschätzenden Selbstzurücknahme. Diese Selbstzurücknahme ist nicht Zugeständnis der Schwäche, welche einfach die eigene Wirkungslosigkeit akzeptierte. Sie vertraut vielmehr darauf, dass die Gottesbeziehung, die Jesus trug, auch heute Menschen zu tragen vermag, die ihr Raum lassen.

Das Gespräch mit dem anderen lässt die eigene innere Überzeugung nicht unberührt, aber umgekehrt lässt auch das Eigene andere nicht unberührt. Im Gesprächsprozess kann ich bemerken, dass es dem anderen möglicherweise um dieselben Fragen geht, und ich kann diesen Prozess umso mehr gutheißen, je mehr ich merke, dass die andere Position mir gar nicht einfach nur fremd ist, sondern mich auch tangiert und involviert. Ein Gott also, der sich selbst in die Welt hineingibt, sollte der nicht auch die Menschen, die ihn in sich einlassen, befähigen können, in seinem Geist zu wirken: nämlich in jenem Geist der grundsätzlichen Affirmation des Daseins des anderen?

Eine (katholische) Theologie in einem pluralen Umfeld kann sich daher nicht auf sich selbst zurückziehen, sie muss sich ins Gespräch hineinziehen lassen und zuhören, wenn sie selbst gehört und zu einer Stimme im Gespräch werden will – unter Studierenden, in der Forschung, in den Metropolen, in gesellschaftlichen und politischen Debatten. Dabei darf sie nie aus dem Blick verlieren, dass all ihre Sätze von sich selbst wegweisen auf das ‚Mehr‘, um das es ihnen geht. Es sollte ihr daher weniger um die Profilierung von konkurrierenden Positionen gehen als darum, durch möglichst plurale Redeweisen Fenster/Durchsichten zu öffnen auf dieses Mehr. Andernfalls, ich paraphrasiere den mittelalterlichen Theologen und Mystiker Meister Eckhart, wickelte man Gott einen Mantel ums Haupt und verstaute ihn bequem unter einer Bank.14 Will man dieser Gefahr, den Unendlichen zu verendlichen und dingfest zu machen, entgehen, kommt man nicht umhin, die eigenen Sätze zu überdenken, zu relativieren und zu differenzieren in der Auseinandersetzung mit anderen – um der Wahrheit willen.

Damit Gott nicht ‚unter der Bank landet‘, ist es das Ziel des vorliegenden Bandes, die Vielfalt bereits innerhalb der katholischen Theologie sichtbar zu machen. Denn das Dilemma ist: Je schärfer abgrenzend theologische Wissenschaft ihre Aussagen formuliert, desto unschärfer wird ihr „Gegenstand“. Denn er bildet ja immer schon den Grund und Horizont unseres Daseinkönnens mit- und gegeneinander, und somit den Hintergrund, auf dem der Vordergrund, also all das, was wir sprachlich beschreiben können, erst sichtbar wird. Da wir aber kaum anders als abgrenzend sprechen können, scheint es mir umso wichtiger, dass wir uns gegenseitig korrigieren.

4. Exemplarische Gesprächsfelder

In den folgenden Beiträgen renommierter Theologinnen und Theologen wird der Versuch unternommen, den skizzierten Anforderungen an eine zukunftsfähige Theologie gerecht zu werden und theologische Fragestellungen nicht isoliert zu betrachten, sondern eben ‚im Gespräch‘ mit anderen Wirklichkeitszugängen. Es geht darum, in den Diskurs einzubringen, was sich dem zupackenden Diskurs entzieht, und so die vertikale Ebene in der horizontalen wahrzunehmen, die auf der Hand liegende Logik von Endlichkeit, Ökonomie und Konkurrenz ins Gespräch zu bringen mit Phänomenen, die mit dieser Logik nicht hinreichend zu deuten sind. Zugleich geht es darum, die eigenen Deutungen auch den Wahrnehmungen und Argumenten der Gesprächspartner auszusetzen, sie infragestellen zu lassen und so offenzuhalten (statt ‚einzuwickeln und zu verstauen‘ – siehe Eckhart!). Einleitend möchte ich einen Überblick über die in diesem Band versammelten exemplarischen Gesprächsfelder geben.

An erster Stelle steht der Dialog mit der Philosophie. Angesichts der Tatsache, dass gegenwärtig Glaube und Vernunft von vielen jungen Menschen wieder in einem Gegensatz gesehen werden, ja dass einige gar ihre Angst äußern, durch ein theologisches Studium den richtigen Glauben zu verlieren, scheint mir dieser Dialog besonders dringlich. Ein Glaube, der sich den Anfragen der Vernunft entzieht, lässt sich nicht mehr kommunizieren, er bleibt unverständlich für andere und wird daher entweder selbstbezüglich oder gefährlich. Der Beitrag des auf diesem Gebiet führenden Freiburger Fundamentaltheologen Magnus Striet steht daher unter dem Motto: „Dem Glauben Vernunft eintreiben!“ (S. 29  38) Für viele ist die Annahme eines gütigen Gottes nicht selbstverständlich, nicht einmal plausibel. Welche heute allgemein einleuchtenden, vernünftigen Gründe gibt es also, an diesem Gott festzuhalten? Denn zumindest ohne die Frage nach Gott ist der Mensch nicht zu verstehen. Sie stellt sich ihm bereits aufgrund der Tatsache, dass er sich für sein Dasein und Sosein nicht selbst entschieden hat, sondern sich selbst als Subjekt bereits vorfindet – eingebunden in die Gegebenheit der Welt und ihres Soseins überhaupt.

Eine besondere Herausforderung bieten für viele Glaubende die schier unübersehbaren Fortschritte der Naturwissenschaften. Das Gespräch geht hier in verschiedene Richtungen. Manche Naturwissenschaftler meinen, ihre fortschreitende Erkenntnis mache die Frage nach Gott früher oder später obsolet, wie etwa der berühmte Physiker Stephen Hawking, der überzeugt ist, eine kohärente Theorie formulieren zu können, die den Gesamtzusammenhang des Kosmos abschließend erklärt und daher seine Wissenschaft als Konkurrenz für die Theologie versteht.15 Dabei lässt er außer Acht, dass die Frage theologisch auf etwas ganz anderes zielt, nämlich auf jenen metaphysischen Ursprung oder Hintergrund, der den Kosmos mit der Gesamtheit seiner Gesetze (der also auch eine solche Weltformel) noch einmal trägt. Die Theologie geht davon aus, dass auch sie diesen Hintergrund nicht restlos beschreiben kann, dass er sich aber selbst im Seinkönnen der Schöpfung ausdrückt – und dass empirische Wissenschaft dies eher verstellt als offenlegen kann. Der Alttestamentler Fridolin Stier (1902  1981), welcher in seinem Tagebuch komplexe Denkbewegungen der Phänomenologie in beeindruckend anschaulicher Form zum Ausdruck gebracht hat, schreibt dazu:

Wissenschaft: Stein namens Granit: geologisch/erdgeschichtlich, kristallographisch, chemisch-physikalisch, Entstehung, Ursprung … Was alle Wissenschaften zusammen an Aussagen über den Stein ergeben, (…), die Totalität der Deskription, bleibt diesseits, innerhalb der Namen (…) kurz: das Erschienene (Stein, Kristall, Element (…) verschweigt das Erscheinende, das, was sich in ihm zur Erscheinung bringt. Oder: Was erscheint (phainon), verbirgt sich im Erschienenen. Alles von der Wissenschaft zu Sprache Gebrachte … lässt außer acht, klammert aus, läßt ungefragt und ungesprochen das Offenliegende, nämlich: daß der Stein nicht aus sich ist und daß der Stein nicht aus sich so ist, wie er ist. Die Sprache [also auch die Wissenschaft – Ch.B.] spricht das Offenliegende nicht aus. Das Offenliegende aber ist das Mysterium.16

Umgekehrt aber lässt auch der Schluss aus dem Staunen über das Universum und den Menschen nicht einfach auf die Göttlichkeit dieser selbst schließen, wie es manche Physiker tun. Denn die Frage unseres Woher, Wozu und Wohin ist damit in keiner Weise beantwortet.

Ein weiteres hochaktuelles Gesprächsfeld liegt bei den Neurowissenschaften. Hier laufen naturalistische Mega-Forschungsprojekte, die davon ausgehen, dass das menschliche Bewusstsein, diejenige Instanz also, die sich die Frage nach sich selbst und nach Gott stellt, reduzierbar sei auf neuronale Prozesse im Gehirn, die ebenso gut mit einem Computerprogramm simuliert werden können. Menschliche Freiheit wäre dann nur Illusion.17 Die Theologie lässt diese Entwicklungen nicht einfach außer Acht, sondern weiß sich (durchaus positiv) herausgefordert, inneres Erleben und Freiheit phänomenologisch aufzuweisen. Das anspruchsvolle Gespräch mit den Naturwissenschaften führt die Theologin und Biologin Johanna Rahner (S. 39  56), welche die Professur für Systematische Theologin an der Universität Tübingen innehat.

Es folgt die Erprobung und Differenzierung der theologischen Argumente im Gespräch mit den Anfragen des sogenannten ‚Neuen Atheismus‘: Hier geht es unter anderem darum, sich theologisch mit den Argumenten der Atheisten auseinanderzusetzen (die ihren Atheismus mit Verweis auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse, dem Projektionsverdacht oder dem Theodizeeproblem begründen zu versuchen. Sie nennen Argumente, die vielen heute plausibel erscheinen. Daher scheint in einer säkularen Welt der Glaubende eine größere Beweislast als der Nicht-Glaubende zu tragen. Aber zurecht? Ich habe bereits einleitend von der seltsamen und durchaus erklärungsbedürftigen vertikal-horizontalen Spannung gesprochen, in der sich der Mensch befindet – zwischen Fülle und Leere, zwischen Aktivität und Passivität, zwischen engagiertem Tun-Wollen und resigniertem Nichts-Tun-Können; zwischen Eingebundensein und freiem Selbstentschluss, zwischen Gelingen und Scheitern, zwischen Liebesintention und faktischer Konkurrenz, in seiner Einzigartigkeit und Individualität und als einer unter vielen. Immer dieses „sowohl – als auch“. Diese heuristische Beobachtung ist ins Gespräch zu bringen und zu fragen: Könnte es nicht sein, dass wir in all unserem Tun ständig aus einer Quelle (oder mit der vorherigen Formulierung gesprochen: aus einem Hintergrund) schöpfen, den wir mit diesem Tun zugleich verstellen? Der Hintergrund bleibt unbemerkt, solange uns die Dinge gelingen, wird vielleicht dankbar bemerkt, wenn wir mit unseren Kräften am Ende sind und doch noch einmal neuen Mut gewinnen. Thematisiert wird er vielleicht erst, wenn der Zugang zu ihm ganz fehlt, abgebrochen ist. Dies ist nur ein Ansatz, dessen Spur die Theologie in der Auseinandersetzung mit atheistischer Weltdeutung weiter verfolgen kann: dass es Phänomene gibt, die mit dem Glauben an Gott, genauer: an den Gott Jesu Christi, besser verstehbar sind als ohne ihn. Dabei zielt das Gespräch nicht auf regelrechte Beweise, denn sonst wäre der Glaube keine freie Option mehr. Aber es sind doch Argumente zu entwickeln, die selbst die Debatte mit dem Atheismus der extremen Form, für den Namen wie Daniel C. Dennett und Richard Dawkins („Der Gotteswahn“) stehen, nicht scheuen müssen.18 Solche Argumente entwickelt der Frankfurter Theologe Hans Kessler in seinem Beitrag mit dem spannungsvollen Titel Gott – warum wir ihn (nicht) brauchen (S. 59  83). Er nimmt die atheistische Kritik zugleich als Herausforderung an, zu überprüfen, was biblisch-christlicher Gottesglaube eigentlich meint, und arbeitet seinen Kern und seine tieferen Gründe heraus.

An die Beiträge zu den naturwissenschaftlichen Welterklärungen und den Anfragen des Atheismus als Herausforderung für die Theologie schließt sich der Dialog der Religionen an – und zwar mit drei Beiträgen. Denn er bildet inzwischen einen wesentlichen Bestandteil des theologischen Denkens, präziser: Er hat die katholische Theologie und Kirche in ihrem Selbstverständnis verändert. Die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils (1962  1965) können erstmals davon sprechen, dass „nicht selten“ auch in den anderen Religionen Wahrheit zu finden sei.19 Eine katholische Theologie, die diese Aussagen ernst nimmt, weiß sich zu einer erwartungsvollen Begegnung mit der Weisheit der Weltreligionen aufgefordert. Die katholische Kirche in der Welt von heute ist dabei, die Rolle des souveränen Gebers heilbringender Gaben, die ihr lange Zeit – nicht nur im interreligiösen, sondern auch im ökumenischen Kontext – selbstverständlich war, zu überdenken. Sie nimmt wahr, dass sie aus dem Gespräch mit den anderen Religionen selbst etwas lernen und empfangen kann und dass sie durch das Verstehenwollen des Fremden schließlich auch das Eigene tiefer und besser versteht. Auch und gerade im interreligiösen Feld ist also zu beobachten, dass die schöpfungstheologisch und christologisch begründete Haltung einer Selbstzurücknahme, die den anderen grundsätzlich erst einmal würdigt, theologisch weiterführt. In den Worten des Konzils: Es geht darum, „in aufrichtigem und geduldigem Zwiegespräch“ zu lernen, „was für Reichtümer der freigebige Gott unter den Völkern verteilt hat“20

Der wichtigste Partner für den Dialog der Religionen aus christlicher Sicht ist das Judentum. Der jüdisch-christliche Dialog ist innerhalb der letzten Jahrzehnte endlich selbstverständlich geworden. Dies bringt der Titel des Beitrags von Hermann Henrix zum Ausdruck: „Christentum und Kirche nicht ohne Judentum: Jüdisch-christlicher Dialog heute“ (S. 85  109). Die reichen Texte der Bibel leiten uns zu geschwisterlichem Austausch und wechselseitiger Korrektur an, um dem dort bezeugten Gott näherzukommen.

Freilich sind diese theologischen Entwicklungen zugleich von mannigfachen, schier unübersehbaren Schwierigkeiten überdeckt, die mit dem Eingebundensein der Religionen in kulturelle Kontexte und machtpolitische Gemengelagen zu tun haben, welche ihre Reichtümer bis zur Unkenntlichkeit verstellen, ja verkehren, können. Es gibt kein stetiges Fortschreiten in der faktischen gegenseitigen Annäherung, sondern immer wieder Rückschläge, so dass sich bei vielen, vor allem, was den Dialog mit dem Islam betrifft, wieder eine grundlegende Skepsis durchgesetzt hat. Umso wichtiger ist es, dass aufgeklärte Theologinnen und Theologen beider Religionen die Zusammenarbeit intensivieren.21 Der wissenschaftliche Austausch baut Vorurteile ab, er schafft Freiräume und lässt die innere Pluralität jeder Tradition wahrnehmen: „Kein Vertreter einer Religion repräsentiert einfach seine Religion in Gänze, es wird in ihr immer Richtungen geben, die andere Akzente setzen und die ihm da und dort auch widersprechen würden.“22 Die Gesprächspartner sind daher herausgefordert, das jeweils Beste der eigenen Religion zur Geltung zu bringen und divergierende Überzeugungen allein schon aus dem Interesse heraus, sie zu verstehen, positiv zu würdigen. Dieser Ansatz wurde in jüngster Zeit vor allem in der Methode der komparativen Theologie aufgenommen. Im Mittelpunkt dieser Methode steht weniger die Beurteilung einer Religion, sondern die detaillierte Lektüre und vergleichende Interpretation der divergierenden Zeugnisse oder emphatisch gesprochen: Ich lasse mich liebevoll ein auf das, was dem anderen lieb ist. Der Gefahr, dabei einen bloßen Scheindialog zu führen, ist dadurch zu entgehen, dass ich nicht nur nach Gemeinsamkeiten suche, sondern bei dieser Suche ebenso die bleibenden Differenzen und die Grenzen des Verstehens sichtbar, aber auch verstehbar werden. Auch sie können nach einem solchen Prozess vielleicht gutgeheißen werden im Rahmen der Aufgabe, die uns Gott gestellt haben könnte, wie ich eingangs andeutete. Nämlich damit, dass er uns als endlich-plurale und zugleich nach Gemeinschaft Suchende geschaffen hat.

Über die theologischen Entwicklungen des Dialogs mit dem Islam wird Anna Klein, die an einem Dissertationsprojekt zu diesem Thema arbeitet, in ihrem Beitrag berichten (S. 111  132).

Zunehmende Bedeutung erhält aber auch der Dialog mit den religiösen Traditionen des Ostens. Sie üben auf viele religiös Suchende heute eine besondere Faszination aus. Nicht ohne Grund, wie ich hier einleitend am Beispiel der indischen Traditionen kurz skizzieren möchte, ohne damit dem Beitrag des Hamburger Missions- und Religionswissenschaftlers Ulrich Dehn vorzugreifen, der sich in seinem Beitrag auf den Dialog mit dem japanischen Buddhismus konzentriert (S. 133  149).

In der Anfangsphase des ost-westlichen Dialogs stand vor allem eine Klärung konträrer Grundstrukturen im Vordergrund, etwa anthropozentrisch-geschichtliches Denken auf der westlichen und karmisch-zyklisches Denken auf der östlichen Seite. Doch in jüngerer Zeit werden auch Konvergenzen sichtbar. Dank der aufgezeigten größeren Wertschätzung intrareligiöser Vielfalt werden in beiden Traditionen Texte und Autoren neu entdeckt und gewürdigt, welche bisher zu Unrecht in der eigenen Tradition am Rand und im Verborgenen standen. Grobe Gegensätze erfahren entscheidende Differenzierungen wie etwa „westlicher Theismus“ (d. h. der Glaube an einen einzigen persönlichen Gott, der die weltliche Vielfalt würdigt) und „östlicher Monismus“ (d. h. der Glaube an einen apersonalen Wirklichkeitsgrund, demgegenüber sich die weltliche Vielheit als Illusion erweist).23 Theistische Strömungen im indischen Kontext erhalten größere Aufmerksamkeit als vorher – so etwa die Schule Ramanujas, der im 11. und 12. Jh. einen differenzierten Nicht-Dualismus (also keinen unterschiedslosen Monismus) lehrt, oder der kaschmirische Shivaismus, welcher die persönliche Beziehung zu einem als absolute Güte gedachten Gott in den Mittelpunkt stellt. Beide Denkweisen fordern den Dialog mit dem christlichen Verständnis der Beziehung zwischen Gott, Mensch und Welt heraus. Sie leiten christliche Theologie dazu an, angemessen zu reflektieren, dass auch die biblisch begründete Rede von Gott als Person bleibend metaphorische Rede ist. Das hat Konsequenzen gerade für die schwierigsten theologischen Fragen, jener nach dem Handeln Gottes in der Welt und nach der Theodizee. Wenn Gott nicht eine Person ist, die nach der Logik weltlicher Konkurrenz handelt, was wir stets – nicht ausschließlich, aber doch auch – tun, dann ist er nicht mehr denkbar als ein über allem sitzender allmächtiger Strippenzieher (wie er in streng theistischen und daher anthropomorphen Konzepten verstanden wird). Vielmehr handelt er dann stets in kommunikativer Beziehung mit den Geschöpfen. Der trinitarische (d. h. der in sich beziehungsreiche Gott) wird so als Prinzip eines christlichen Panentheismus verstehbar. Er ist in allem (daher: Pan-en-Theismus), weil er nicht in sich selbst bleibt, sondern sich verteilt (und das Gegenüber, an das er sich verteilt, ihn selbst nicht unberührt lässt).

Was für den Dialog der Religionen gilt, gilt natürlich erst recht im ökumenischen Gespräch. Wo jemand alleinig-ausschließliche Kompetenz beansprucht, kann ein sich verteilender Gott nicht gefunden werden. Religiöse Wahrheit ist kein Besitz, kein Eigentum, mit dem man den Wahrheitsanteil anderer objektiv messen oder aus dem man freigebig selbst verteilen könnte. Sie erschließt sich – als Glaubenswahrheit – nur dem innerlich Beteiligten. Daher geht es in der Ökumene eigentlich darum, dass wir uns wechselseitig aneinander beteiligen. Dies fällt der wissenschaftlichen Theologie zumeist leichter als den Kirchen, deren Teil sie freilich ist. Umso relevanter wird die Aufgabe, welche der katholischen Theologie im Hinblick auf die kirchliche Hierarchie seit dem II. Vatikanum zukommt: nämlich die einer kritischen und konstruktiven Begleitung im gemeinsamen Dienst am ganzen Volk Gottes.24 Dorothea Sattler, Leiterin des Ökumenischen Instituts in Münster, unterrichtet uns über Ökumene heute und die Notwendigkeit einer angstfreien ökumenischen Zusammenarbeit auf dem Weg zu einer katholischen Identität in ökumenischer Beziehung (S. 153  167).

Mit den folgenden Beiträgen wird das Gespräch auf weitere gesellschaftliche und kulturelle Kontexte ausgedehnt. Die Sorge um den Frieden treibt momentan die Menschen auf der ganzen Welt um. Der Direktor des Hamburger Instituts für Theologie und Frieden, Heinz-Gerhard Justenhoven, widmet sich diesem Thema der politischen Ethik am Beispiel eines ganz konkreten und aktuellen Problems, nämlich der Gewaltlatenz der Staatengemeinschaft (S. 169  185). Wie aufschlussreich ist hier die Sicht einer theologischen Ethik und welche Relevanz für die Praxis kann sie entwickeln? Auf dem Hintergrund der von mir skizzierten Perspektive legt sich bereits an dieser Stelle folgende Sichtweise nahe: Wenn wir einerseits von Gott her und auf ihn hin sind, andererseits diese Herkunft und Zukunft mit unserer Eigenaktivität andauernd auch verstellen und so aus dem Blick verlieren, dann gilt dies letztere in eminenter Weise für ein politisch-strategisches Denken, das nach dem Prinzip von Konkurrenz, Vergeltung und Misstrauen funktioniert. Und es ist evident, dass das Handeln nach diesem Prinzip nicht in der Lage ist, einen stabilen Frieden herzustellen. Weil die politischen Strategien also nur vermeintlich plausibel und vernünftig sind, stellt sich die Frage nach alternativen Handlungsbegründungen. Christliche Ethik kann sich daher eingeladen fühlen, jenes radikal andere Prinzip der sich selbst zurücknehmenden Bejahung des Daseins des anderen in die politische Diskussion zu bringen.

Auf dieses globale Thema folgt ein weiteres Gesprächsfeld von aktueller Brisanz: das Gespräch mit der Schule, genauer: mit den Anforderungen des Religionsunterrichts der Zukunft. In Hamburg gibt es seit langem, anders als in den meisten anderen Bundesländern, an der Mehrzahl der öffentlichen Schulen keinen konfessionellen Religionsunterricht, sondern die Kinder werden im Klassenverband in Religion unterrichtet. Aber auch in den anderen Ländern finden Verschiebungen statt. Es gibt immer mehr Religionen an einer Schule und die konfessionell homogenen Gruppen werden kleiner, so dass eigentlich an allen Orten über neue Formen des Religionsunterrichts nachgedacht wird. Grundsätzlich sind sich die Kirchen darüber einig, dass er im Dialog geschehen soll. Aber die Frage der Kritiker lautet: Ist religiöser Dialog möglich, wenn Kinder noch gar keine religiöse Identität aufgebaut haben? Bzw.: Kann man religiöse Identität im interkonfessionellen und interreligiösen Dialog entwickeln? Kann man Kontur in Beziehung entwickeln? Ich bin einerseits davon überzeugt, dass der katholische Glaube Grund hat, sich das zu trauen mit Blick auf den Gott, der sich selbst in die Welt hineingegeben und sie dadurch zu erneuern begonnen hat. Ich sehe andererseits, dass dem in der Praxis große Schwierigkeiten entgegenstehen: Wenn wir etwa davon ausgehen, dass sich religiöses Wissen nur der Beteiligungsperspektive erschließt, so müssten, soll ein kompetenter Dialog stattfinden, Lehrer und Lehrerinnen verschiedener Konfessionen bzw. Religionen, in einer Klasse unterrichten; und diese Lehrerinnen und Lehrer müssten auf diese Art des Unterrichts im Studium vorbereitet werden. Ich hoffe, dass hier in naher Zukunft fruchtbare Gespräche in Gang kommen. Der Religionspädagoge Clauß Peter Sajak aus Münster wird in seinem Beitrag „In der Spannung zwischen Beheimatung und Begegnung – Theologie im Gespräch mit der Schule. Aktuelle Diskussionen zu Aufgaben und Gestalt des Katholischen Religionsunterrichts“ (S. 187  202) einige Konzepte und dazu vorliegende Forschungsergebnisse vorstellen.

Den Schluss des Bandes bestreiten drei Beiträge zum Gespräch der Theologie mit Kunst und Gegenwartskultur. In diesen Bereichen macht sich eine interessante Entwicklung bemerkbar: Die Frage nach Gott in der heutigen Lebenswelt scheint keineswegs irrelevant geworden zu sein; sie ist in anderen Wortlauten verborgen, aber doch ganz und gar präsent. Während die traditionellen und expliziten Orte des Glaubens für die Menschen tendenziell an Bedeutung verlieren, gibt es an neuen Orten Spuren zu entdecken, an denen das Wort Gott möglicherweise gar nicht auftaucht. Deswegen ändern sich auch die Orte der Theologie. Eine Stadt wie Hamburg z. B. bietet sich an, ungewohnte Orte aufzusuchen, wo man Gespräche mit und über Gott gerade nicht vermutet, wo dieser aber womöglich auch nicht durch eine zu sehr gewohnte und daher oft zu bloßer Worthülse gewordene theologische Begrifflichkeit verstellt wird.25

Der Religionspädagoge Georg Langenhorst zeigt dies am Beispiel exemplarischer Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts (S. 205  232). Die theologischen Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst bringt uns Claudia Gärtner, Professorin für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Kunstdidaktik in Dortmund, nahe (S. 233  256). Schließlich thematisiert Joachim Valentin, Leiter des „Hauses am Dom“ in Frankfurt/Main, die Verarbeitung religiöser Motive im Medium Film in seinem Beitrag „Avatare und andere Erlöser. Theologie im Gespräch mit dem zeitgenössischen Mainstream- und Autorenfilm“ (S. 257  280).

Nur an das letzte Thema, den Film, möchte ich noch selbst anknüpfen mit einem Hinweis auf einen der größten Filme des letzten Jahrhunderts, Charles Chaplin’s „The great dictator“. Er macht die Relevanz der Doppelstruktur unseres Daseins anschaulich, die wie ein roter Faden das weite Feld einer Theologie im Gespräch mit der Welt durchzieht. Chaplin zeigt, wie die Geschichte hätte anders sein können, wenn das Prinzip der Leben vernichtenden Logik von Strategie und Macht unterminiert worden wäre durch die Logik des kleinen jüdischen Barbiers, dessen einfache Weisheit in der großen Schlussrede lautet: We think too much, and we feel too little. So einfach, wie sie sich anhört, ist diese Weisheit allerdings nicht – ich gehe davon aus, dass mit dem „Denken“ eines gemeint ist, dass uns ängstlich zaudern lässt und uns daran hindert, dass das uns Begegnende uns wirklich angeht; und das „Fühlen“ hier jene andere Wirklichkeit bezeichnet, in der einer vom anderen sich unmittelbar ergreifen lässt; jene Wirklichkeit, nach der wir uns eigentlich sehnen. Von ihr ließ der Jude Jesus sein Leben bestimmen und sie endete in der Brutalität des Kreuzes. Aber die Relevanz dieses Lebens ist unzerstörbar. Warum das so ist, das zu ergründen und ins Gespräch einzubringen, ist eine gemeinsame Aufgabe der Theologien. Wir entwickeln dazu unterschiedliche Deutungsansätze und Akzentuierungen, aber wir arbeiten an denselben Fragen.

Im Gespräch mit den Wissenschaften

Theologie im Gespräch mit der Philosophie

Oder: Dem Glauben Vernunft eintreiben!

Magnus Striet

Angesichts der Grundtendenz dieser Überlegungen ist vorab eines klarzustellen: Es finden sich im Titel mehrere Begriffe, die alles andere als bescheiden sind.26 Dabei sollen diese Überlegungen dem, was man Glaube oder auch allgemein religiöse Überzeugung nennt, Bescheidenheit anmahnen. Eine solche Bescheidenheit wird dann angezeigt, wenn sich der Glaube der philosophischen Reflexion stellt. Verfällt man nicht einem am Ende vernunftunkritischen philosophischen Seinsgeraune, sondern reflektiert die Möglichkeiten, aber eben auch die Grenzen dessen, was vernünftig denkbar ist, so wird man – als das Ergebnis dieser philosophischen Reflexionen